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Ingrid LaPlante
Zur Entstehung des Filmporträts »Thomas Grochowiak«
Es war vor drei Jahren, im Atelier von Thomas Grochowiak in Kuppenheim. Als Filmautorin bin ich auf der Suche nach einem Zeitzeugen der deutschen Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich treffe auf Thomas Grochowiak. Er hat viel zu berichten von den Neuanfängen nach 1945.
Nur hin und wieder werfe ich ein neues Stichwort in den Fluss seiner Erzählungen und sogleich beginnt er mit einer anderen Begebenheit. Währenddessen betrachte ich die Bilder in seinem Atelier. Sobald mein Blick innehält und verweilt, unterbricht Grochowiak seine Erzählung, nennt mir den Titel des Bildes – es ist das Musikstück eines berühmten Komponisten –, steht heftig gestikulierend auf, deutet auf die kalligraphischen Zeichen, gibt im Summton die jeweilige, zur Bildkomposition gehörende Partitur wieder und bewegt sich dabei im Takt. Sodann setzt er sich wieder, greift die Erzählung am unterbrochenen Punkt auf und fährt fort. Das wiederholt sich mehrere Male.
Es ist nicht nur das Wissen des ehemaligen Museumsmannes und die ungeheure Erlebnisfähigkeit des 76jährigen, die mich die Zeit vergessen lost. Es ist zugleich seine Malerei, Farbkompositionen, die, losgelöst von der starren Fläche, im Raum zu schweben scheinen und Antworten sind auf die Klänge von Musik.
Ich verlasse sein Haus mit seinen Geschichten im Kopf, seinen Farben vor Augen und den imaginären Klängen in den Ohren. Die Treffen wiederholen sich. Es sind seine Bilder, die mich zusehends faszinieren. Ich habe mich entschieden: Nicht der Museumsmann, der Maler Thomas Grochowiak wird das Thema meines Filmes sein.
Zwei Jahre später, während der Dreharbeiten zum Filmporträt in seinem Atelier in Kuppenheim. Wir wollen die Entstehung eines Bildes filmen. Thomas Grochowiak ist nicht begeistert. Außer seiner Frau habe ihm noch niemand beim Malen zugesehen. Wir überlegen gemeinsam: Darf man dem Künstler beim Schöpfungsprozess zuschauen, ihn gar bei dieser intimen, künstlerischen Angelegenheit filmen? Kann ein dabei entstehendes Bild überhaupt gut werden? Vielleicht, vielleicht nicht!
Wir entscheiden uns für das Experiment. Seine Bedingung: Gegebenenfalls müsse das Filmmaterial ebenso vernichtet werden wie das Bild. Er habe bisher noch nie ein Bild vernichtet, droht er mir verschmitzt, aber mit erhobener Stimme. Und so bereitet sich der sinnenfrohe Mensch Grochowiak gemeinsam mit uns, dem Fernsehteam, auf ein unliebsames Experiment vor: Er serviert einen riesengroßen Teller voller bunter Früchte, einen zweiten mit verschiedenen kunstvoll angerichteten Torten, dazu viel Kaffee, viel Tee und beginnt zu erzählen – spannende Begebenheiten aus seinem bewegten Leben. Dann bemerkt er unsere drängenden Blicke, steht auf, bittet um Ruhe, legt eine Kassette ein und beginnt seine Farben vorzubereiten.
Unter dem Eindruck des ersten Satzes von Wolfgang Amadeus Mozarts B-Dur-Sinfonie, KV 319, stimmt er sich auf seine Malerei ein und konzentriert sich auf die große, am Boden liegende leere Fläche. Während er unsere Anwesenheit anfangs noch als störend zu empfinden scheint – er stellt ungehalten die Farbtöpfe wiederholt zurück auf ihren Platz –, hat er uns nach 10 oder 15 Minuten anscheinend völlig vergessen. Mit seinen chinesischen Pinseln beginnt er rhythmisch die Farben aufs Papier zu setzen. Er lebt jetzt nur noch in der Musik und für die Malfläche, fühlt sich unbeobachtet und allein. Jetzt begreife ich sein anfängliches Zögern, die Scheu, sich im konzentriert-meditativen Zustand filmen zu lassen.
Die Zeit vergeht. Während wir die Musik im langsamen Nacheinander erleben, setzt der Maler die Klänge in Farben um. Er füllt die große Fläche, bis schließlich ein »Ganzes« bleibt – während sich die Musik längst verflüchtigt hat.
Thomas Grochowiak, der Maler der gestisch-expressiven Kunst, hat einen uralten Menschheitswunsch, Musik in Zeit und Raum festzuhalten, auf seine Weise erfüllt. Es ist ein gelungenes Experiment. Der Maler ist erschöpft und zufrieden. Der Kameramann wischt sich den Schweiß von der Stirn, und ich bin erleichtert – das Experiment hätte verdammt teuer werden können.
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